(Autorin: Monika Traut-Bonato)
Ende 2018 führte die Theatergruppe Hetzerath im Rahmen der 950-Jahr-Feier in selbigem Ort „Das Tagebuch der Anne Frank“ mit großem Erfolg auf. Die stets ausverkauften Vorstellungen waren ein ergreifendes Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit. Zwei Jahre Vorbereitung und 5 Aufführungen im November und Dezember 2018 verlangten allen Mitwirkenden viel Zeit und Energie ab.
Es sollte ein Gesamtprojekt gegen das Vergessen der Naziverbrechen sein, wenn auch der zentrale Kern das Leben der Anne Frank war, erklärt Ottmar Hauprich, Leiter und Regisseur der Theatergruppe. Denn das Thema sei bis heute immer noch hochaktuell. „Wir sagen Nein zu allen Arten von Verletzungen menschlicher Würde. Wir möchten Verantwortung übernehmen für die Bildung einer globalen Gemeinschaft in Gleichheit aller Menschen mit Toleranz für die Vielfalt“, unterstreicht Hauprich.
Das Stück schlug hohe Wellen, über 1300 Zuschauer aus der Region und von außerhalb machten sich auf den Weg, um sich die spektakuläre Aufführung der Theatergruppe Hetzerath anzuschauen. Hauptdarstellerin in dem bewegenden Stück war die damals 33-jährige Katharina Tibo-Stemper, die es auf Anhieb schaffte, überzeugend das 13-jährige Mädchen Anne Frank zu spielen. Da die Theatergruppe keine jugendlichen Mitglieder hatte, die die Rolle der Anne Frank hätten spielen können, musste diese mit einer erwachsenen Person besetzt werden. Für Regisseur Ottmar Hauprich war von Anfang an klar, dass nur Katharina Tibo-Stemper, die bis dahin in der Theatergruppe lediglich kleinere Rollen innegehabt hatte, für diese Rolle in Frage kam.
„Das Tagebuch der Anne Frank“ skizziert die Gedankenwelt eines jungen jüdischen Mädchens zur Zeit des Nationalsozialismus. Es erzählt die authentische Geschichte der dreizehnjährigen Anne Frank, die wegen der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten 1933 mit ihrer Familie nach Holland emigrierte und dort sieben Jahre später in einem Amsterdamer Hinterhaus für zwei Jahre untertauchte. Was dies für die Eingesperrten bedeutete, ist aktuell in Zeiten von Corona mit zeitweiser Quarantäne und Ausgehverboten, die ja in der Regel nur wenige Wochen dauerten, vom Ansatz her heute vielleicht besser zu verstehen als vor Covid 19. In den wenigen Wochen der staatlicherseits eingeforderten Maßnahmen, in denen Verpflegung ausreichend vorhanden war, gab es anders als bei Familie Frank die Möglichkeit, sich im Haus, Garten oder bei Spaziergängen relativ frei zu bewegen. Und selbst mit diesen im Verhältnis geringen Maßnahmen litten bereits einige Menschen unter dem sogenannten Lagerkoller. Die Bevölkerung erlebte am Eigenem Leib, was es heißt, sich nicht frei bewegen zu können und auch nicht alle Menschen wie gewohnt selbstverständlich treffen zu dürfen. Diese Einschränkungen können nur ansatzweise das Gefühl vermitteln, das die Familie Frank in ihrer zweijährigen Isolation in den wenigen kleinen Räumen in einem Hinterhaus in Amsterdam erlebte. Die Verpflegung war nicht sicher, niemand durfte das Haus verlassen, zeitweise durfte nicht einmal gesprochen werden, hinzu kam die ständige Angst, doch noch entdeckt zu werden, was einem Todesurteil gleichkam.
Anne erzählt in ihrem Tagebuch ehrlich und scharfsinnig die tragische Geschichte der acht sich im besetzten Holland versteckt haltenden Juden. Anfang August 1944 wurden sie und die anderen Hinterhausbewohner entdeckt und verhaftet. Im Alter von nur 15 Jahren starb Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Von den Bewohnern des Verstecks überlebt lediglich ihr Vater den Krieg und veröffentlicht ihr Tagebuch erstmals 1947 unter dem Titel „Het Achterhuis“.
Anne Franks Tagebuch wurde zu einem der meistgelesenen Bücher weltweit. Der Name Anne Frank steht für eine kämpferische Persönlichkeit, für eine früh gereifte Autorin, Tagebuchschreiberin und Feministin, die sich für Menschenrechte einsetzt. Sie ist das wohl weltweit bekannteste Holocaustopfer und wird im kollektiven Gedächtnis das bekannteste Symbol für die Millionen Opfer des Völkermords bleiben. Die Gesamtheit all dieser Paradigmen hat sie zu einer international bekannten Ikone werden lassen, deren Status als Vorbild ebenso vielgestaltig wie weit verbreitet ist.
Es war daher eine gewaltige Herausforderung und gleichzeitig Gratwanderung, die Katharina Tibo -Stemper als Darstellerin von Anne Frank zu bewältigen hatte. Sie musste als erwachsene Frau den Drahtseilakt vollführen, ein junges pubertierendes Mädchen, das zudem noch den Status einer Ikone besitzt, überzeugend zu spielen. Es gelang ihr bravourös, die Zuschauer schauspielerisch so in ihren Bann zu ziehen, dass bei diesen nicht eine Sekunde der Gedanke aufkam, dass hier eine erwachsene Frau ein junges Mädchen spielte. „Alle haben ihr die Rolle abgenommen, auch Jugendliche“, bringt Regisseur Ottmar Hauprich es auf den Punkt. „Katharina als Hauptdarstellerin ist über sich hinausgewachsen, hat viele beeindruckt“.
Im folgenden Interview möchten wir nun der Frage nachgehen, wie das Gesamtpaket „Das Leben der Anne Frank“ die Hauptdarstellerin berührt, sie sogar verändert hat.
…ich denke man könnte auch die “Du” Anrede verwenden
Interview mit Katharina Tibo -Stemper
MT: Sie spielten in dem Stück „Das Tagebuch der Anne Frank“ eine 13-jähriges junges Mädchen, das sich mit seiner Familie vor den Schergen der Nationalsozialisten verstecken muss. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
KS: Das habe ich auf verschiedene Art und Weise getan. Zum einen habe ich das Tagebuch der Anne Frank mehrfach gelesen und zusätzlich zahlreiche weitere Bücher über diese Zeit, sowohl über die Verfolgten als auch über die Verfolger.
Außerdem hatte ich als Kind und Jugendliche seit meinem zehnten Lebensjahr auch selbst Tagebuch geschrieben. Dieses hatte ich mir nochmals ausgekramt und darin nachgelesen, wie man in diesem Alter tickt und welche Sorgen und Probleme einen als jungen Menschen belasten. Dieses nochmalige Eintauchen in meine eigene Jugendzeit half mir, diese Rolle überzeugend zu spielen, da ich mich damals auch aufgrund einer Krankheit in einer Sonderrolle fühlte und ich etliche Parallelen zur Gedankenwelt von Anne Frank feststellen konnte.
MT: Sie begannen während der Proben zum Theaterstück, die in der Regel nach Feierabend stattfanden, eine neue Ausbildung, hatten Ihre Aufgaben als Mutter und Partnerin, wie haben Sie das alles unter einen Hut bekommen?
KS: Als die Proben begannen, arbeitete ich noch als Arzthelferin in Schwangerschaftsvertretung. Schon lange hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mich beruflich zu verändern, denn mein Wunsch war es immer, mit Kindern zu arbeiten. Und so entschloss ich mich genau in dieser vollgepackten Zeit, mich beruflich zu verändern und ich begann eine neue Ausbildung. Ich hatte zwar die Doppelbelastung, Ausbildung, neuer Job, Abendschule und das „Hobby“ Theater, habe dies aber erst so wirklich realisiert, als alles schon vorbei war, nach Weihnachten. Selbst vor der Generalprobe hatten wir noch zwei, drei Arbeiten in der Schule geschrieben, aber es ging irgendwie. Wir hatten lange und viel geprobt, und dann fiel dieser Teil auf einmal weg. Das war schon krass. Allerdings muss ich im Nachhinein sagen, dass das Ganze für mich persönlich einfach eine geniale Zeit war. Ich habe festgestellt, dass ich, wenn mir etwas wirklich am Herzen liegt, eine enorme Energie aufbringen kann, die ich sonst vielleicht nicht hätte.
MT: Das Tagebuch der Anne Frank zeigt schwierige politische Zeiten auf, in denen Menschen wegen ihrer Religion und auch wegen politischer Ansichten verfolgt und ermordet wurden. Glauben Sie, dass so etwas heute auch wieder möglich sein könnte?
Ich finde es momentan beängstigend, dass die Ausübung von Gewalt auch in Deutschland wieder ein Thema ist. Ich hoffe nur inständig, dass es in Deutschland nie wieder so weit kommt, dass Menschenleben systematisch ausgelöscht werden und dass unser Staat stark genug ist, die gegenwärtigen Konflikte auszuhalten. Wir haben ja heute das große Glück, dass es seit dem II. Weltkrieg in Deutschland keinen Krieg mehr gab. Den wachsenden Antisemitismus finde ich besorgniserregend, die jüdische Bevölkerung sollte in Deutschland nie wieder Angst haben müssen.
MT: Hat diese Rolle sie persönlich verändert und wenn ja, inwiefern?
KS: Ich bin mit dem Stück gewachsen, war mit Feuer und Flamme vom Anfang bis zum Schluss immer dabei. Es war natürlich sehr viel Text, den ich lernen musste. Allerdings war mir bis zur Generalprobe gar nicht so wirklich bewusst dass ich die Hauptrolle innehatte. Denn als Gruppe haben wir gemeinsam dem Stück Leben eingehaucht, viel gelacht und auch geweint, es hat mit den anderen Darstellern einfach viel Spaß gemacht, das Stück auf die Beine zu stellen.
MT: Der Theatergruppe ist es in der Tat gelungen, das Tagebuch der Anne Frank auf den Punkt zu bringen. Die Zuschauer waren sofort in der Geschichte drin, die Schauspieler/innen überzeugten alle und haben das Publikum mitgenommen und viele Emotionen geweckt. Wie haben Sie das empfunden?
KS: Ja, alle kannten das bittere Ende und haben doch bis zum Schluss auf ein Happy End gehofft, die Zuschauer zeigten echte Emotionen und weinten auch viel. Viele Zuschauer kamen auch von außerhalb, wie beispielsweise Katharina Barley und ihr Mann, der holländische Basketballtrainer Marco van den Berg. Er war einer der ersten, der aufgestanden ist und applaudierte.
MT: Sie waren auf der Bühne ja nicht mehr Katharina, sondern Anne. Wie weit ging die Identifizierung mit dem jungen jüdischen Mädchen?
Die ging sehr weit. Ich bin in das Leben von Anne Frank tief eingetaucht und ich hatte mir meine eigene Messlatte sehr hochgelegt. Ich wollte ihr mit meiner Arbeit unbedingt gerecht werden, ihr damit posthum sagen, dass ich sie verstanden habe und sie auch damit ein wenig stolz machen. Die Rolle hat mich bis in den Alltag verfolgt, an Weihnachten ist dann alles eskaliert, ich war sowohl körperlich als auch mental völlig ausgelaugt. Das Drama um Anne habe ich auch körperlich gespürt. Erst nach Weihnachten hat sich dann die Anspannung langsam wieder gelöst.
MT: Was hat es schlussendlich für sie bedeutet, die Hauptperson in diesem ergreifenden Theaterstück darzustellen?
KS: Es war für mich nicht nur eine Rolle unter vielen, die man spielt, die man nach getaner Arbeit einfach so ablegt. Diese Rolle hat mein Leben verändert, meine Einstellungen und mein Selbstbewusstsein.
MT: Welche ganz persönliche Quintessenz ziehen sie aus dieser wichtigen Periode in ihrem Leben?
KS: ich habe mich durch diese Rolle verändert, bin selbstbewusster geworden, gebe nicht mehr so schnell auf, wenn ich etwas erreichen möchte und verstehe es, meine eigene Meinung zu verteidigen, ohne zu schnell einzuknicken. Denn ich finde es sehr wichtig, eine eigene Meinung zu haben. Ich bin froh, ein Teil davon gewesen zu sein und ich bin immer noch fasziniert davon, wie gut meine Rolle als Anne Frank von den Zuschauern angenommen worden ist.
Diese Zeit 2018 war für mich vielleicht sogar die wichtigste Periode in meinem Leben und ich habe daraus gelernt: Sei du selber, mach das, was du kannst und willst, ohne Rücksicht auf falsche Empfehlungen und Meinungen anderer. Ich habe mir den Spruch von Anne Frank „Lasst mich ich selbst sein“ ganz verinnerlicht.
Fotos:
Monika Traut-Bonate (Beitragsbild)
Jan Malburg (Fotos der Aufführung 2018)