Landesverband Amateurtheater Rheinland-Pfalz e.V.

Ehrenmitglieder

Edgar Reitz

Das ganz besondere Ehrenmitglied

Der Landesverband Amateurtheater Rheinland-Pfalz hat ein ganz besonderes Ehrenmitglied: den bekannten Regisseur Edgar Reitz! Seine wohl bekanntesten Produktionen sind die Heimat-Trilogie (zwischen 1984 und 2004) sowie Die andere Heimat (2012).

 

Zur Person von Edgar Reitz ein Bericht im Vorhang auf 1/2004.

 

Ingo Lang (studio 61 Rheinböllen) und Christel Schäfer (Junge Bühne Ellern) berichteten im Vorhang auf 4/2004, wie sie als Hunsrücker Amateur-Schauspieler bei der Heimat-Trilogie mitwirkten.

 

Über ihre Rolle in Heimat 3 berichtet Helma Hannen (Theatergruppe Dumnissus Kirchberg) im Vorhang auf 2/2005.

 

Nachfolgend ein Interview, dass Petra Theisen mit Edgar Reitz geführt hat:

 

Ich habe eine Einladung zur Deutschlandpremiere von „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ Wow! Wie sich das schon anhört – Deutschlandpremiere. Einmal tief durchatmen – Herzklopfen – Freudenschrei. Ich war noch nie bei einer Filmpremiere und schon gar nicht bei einer, die so viele Emotionen bei der Bevölkerung hervorruft. Da muss, nein, da will ich hin! Oh nein, da ist auch das Jugendseminar, was mach´ ich bloß.

 

Kurzer Anruf bei Hans Schilling: „Selbstverständlich gehst du dahin und schreib´ einen Artikel.“ Artikel? Ja, was kann man da so schreiben. Am Wochenende vor der Premiere dann die Idee, warum frag´ ich nicht, ob ich Herrn Reitz interviewen kann. Erde an Petra: „Zuerst musst du dir mal Fragen überlegen!“. Ach ja, was fragt man den so bei einer Filmpremiere? „Hatten Sie Bedenken wegen den Pferden bei dem großen Dreh der Auswanderung? Einige vom Team erzählten danach, dass sie heilfroh waren, dass nichts passiert ist. Wie geht man mit sowas um? Blenden Sie das vollständig aus oder schicken Sie auch ein paar Stoßgebete zum Himmel? …“ Nein zu umständlich, bis ich die Frage erklärt habe, ist eine halbe Stunde rum. Weg damit.

 

„Wie sind Sie mit dem Tod Ihres Kulissenbauers umgegangen?“ Nein zu persönlich. Weg damit…

 

Nach zwei Tagen war es dann soweit, die Fragen stehen fest.

 

Ich kann also für das Interview anfragen. Aber wen? Nach zwei Fehlversuchen, habe ich dann, 2 Tage vor der Premiere, die richtige Adresse erwischt. Innerhalb von zwei Stunden bekomme ich eine super nette Antwort: „Wir freuen uns sehr über Ihr Interesse an einem Interview mit Edgar Reitz… Sicherlich gibt es „zwischen Tür und Angel“ immer mal wieder einen Moment, aber das ist momentan schwer planbar. Am besten gebe ich ihnen meine Handynummer…“ Mein Puls steigt. Das hätte ich, wie so vieles bei dem Projekt, nicht zu hoffen gewagt. Ich stehe also abends bei der Premiere um ca. 20:00 Uhr auf dem Fruchtmarkt in Simmern und telefoniere mit der Pressesprecherin Frau Heinze. Nach kurzer Nachfrage bei Herrn Reitz dann die Antwort: „ Ja Herr Reitz ist, nach der Enthüllung der Kornbilder, gerne bereit sich von ihnen interviewen zu lassen. Warten sie beim Brunnen auf mich.“ Gesagt getan. Ich treffe die Pressesprecherin zum 1. Mal persönlich. Sie ist, wie aus den vorherigen Kontakten erwartet, sehr freundlich und erklärt mir, dass noch Zeit ist. Ich soll in der Nähe bleiben.

 

Plötzlich sehe ich Christian Reitz, den Produzenten des Films, am Brunnen stehen. Tolle Gelegenheit ihn auch noch schnell um ein Autogramm zu bitten. Wir kommen ins Gespräch, er fragt mich, wie ich den Film gefunden habe. Ich sage toll. Vor allem Mélanie Fouché hat mir sehr gut gefallen. Wie sie ihre Rolle interpretiert hat, großartig. Christian Reitz wirkt im ersten Moment überrascht, gibt mir dann aber recht. Wahrscheinlich fällt der Name Fouché nicht so oft, wenn man über diesen Film spricht. Was ich persönlich allerdings als sehr schade empfinde. Dann sprechen wir über die farblichen Akzente im Film, die ich so schön finde. Wie Jakob Jettchen die Grüntöne übersetzt, wundervoll. Christian Reitz Augen beginnen zu leuchten. Oh ja. Er spricht von dem wunderschönen samtenen Rock der Frau Butterling. Wer ihn trug, weiß ich nicht, ich hatte nur Augen für den Rock. Aber wir sind uns einig, die Szene ist fabelhaft. Ich erzähle ihm noch von meiner Zeit als Maschinenbaustudentin in Brasilien, in der ich 3 Monate lang mit Nachfahren von Auswanderern aus dem Hunsrück zusammen gelebt und gearbeitet habe, wie schön es war, beim Dreh dabei sein zu dürfen und wie großartig es ist, dass ich als einfache Komparsin, sowohl beim Abschlussfest des Drehs als auch jetzt bei der Premiere, dabei sein durfte. Dann kommt Frau Heinze. Jetzt ist es soweit! Ich verabschiede mich von Christian Reitz und gehe zu Edgar Reitz.

 

Nach einigen Minuten Wartezeit ist es dann soweit, Edgar Reitz steht vor mir. Ich stelle mich kurz, im Namen des Landesverbandes, vor. Edgar Reitz erwidert: „Wissen Sie eigentlich, dass ich Ehrenmitglied im Landesverband Amateurtheater Rheinland-Pfalz bin?“ Oh Schreck, das weiß ich natürlich nicht. Ich gebe es offen und ehrlich zu. Als ob ich nicht schon genug Herzklopfen hätte. Naja, wie heißt es so schön, wenn die Generalprobe nicht klappt ist die Premiere umso besser. Und wenn wir schon Mal dabei sind, gestehe ich Herrn Reitz gleich auch noch, dass er der erste Interviewpartner in meinem Leben ist. Deshalb würde ich das Interview gerne mit dem Smartphone mitschneiden, wenn das für ihn o.k. ist. Er hat nichts dagegen, mir fällt ein Stein vom Herzen. Zum Mitschreiben wäre ich viel zu nervös. Aber ich versuche mich locker zu geben und mir nichts anmerken zu lassen…

 

Und schon geht´s los:

 

Bild: Edgar Reitz Filmproduktions GmbH

Im Film „Die andere Heimat“ arbeiteten Sie, Herr Reitz, wieder mit vielen Amateuren zusammen, so haben Sie z.B. die Hauptrolle mit dem Amateur Jan Schneider besetzt. Was müssen Amateure können, um bei so einem Projekt mitmachen zu können?

 

Zuerst muss man wohl sagen, dass man Schauspieltalent besitzen muss, welches man nicht erlernen kann. Jemand der auf einer Schauspielschule war, ist nicht zwangsläufig ein großes Talent. Es gibt auch professionelle Schauspieler, bei denen ich sagen würde, dass ihr Talent nicht so ausgeprägt ist. Andererseits findet man unter Nichtschauspielern große Talente. In den Amateurtheatern weiß man das sehr genau und man kann das dort auch immer wieder beobachten.

 

Ein Schauspieler ist ein Mensch der Freude daran findet ein Anderer zu sein. So einfach und doch so schwer ist es: Die Verwandlung oder die Freude an der Verwandlung muss vorhanden sein. Es gibt Menschen, die sich nicht aus ihrer Haut heraus denken können. Diese sollten nicht auf die Bühne gehen oder versuchen, bei einem Film mitzuspielen (lacht).

 

Was ist das Besondere, an der Zusammenarbeit mit Amateuren im Vergleich zu professionellen Schauspielern? Was reizt Sie daran?

 

Amateure zeigen unglaubliche Fantasie beim Spiel und machen intuitiv viele Dinge richtig. Häufig ist der allererste Probenversuch wunderbar. Möchte man als Regisseur dann aber doch etwas anders umgesetzt haben, stößt der Amateur an seine Grenzen. Er hat, im Gegensatz zu einem professionellen Schauspieler, nicht gelernt Korrekturen ad hoc umzusetzen. Für den Amateur ist dann alles an der gewünschten Änderung richtig. Aber im gleichen Atemzug ist der Amateur verunsichert: ist das was nicht erwähnt wurde denn richtig? Plötzlich ist das Unerwähnte falsch.

 

Das ist meines Erachtens der eigentliche Unterschied. Wenn man mit Amateuren im Film arbeitet, kann man durch Proben und weitere Versuche nichts verbessern. Diese Begrenzung macht die Arbeit mit Amateuren zur Glückssache.

 

Für den Hunsrück und seine Bewohner, war dies wieder, zu Recht, ein ganz besonderes Ereignis.

Was bedeutet der Hunsrück für Sie? Was ist das Besondere am Hunsrück? Ist der Hunsrück für Sie ihre Heimat?

 

Nein, so kann man das nicht sagen. Um es einfach auszudrücken, ich bin nun mal im Hunsrück geboren und aufgewachsen. Ich habe hier in Simmern mein Abitur gemacht und bin mit 19 Jahren weggezogen, um zu studieren. Seitdem lebe ich nicht mehr im Hunsrück.

 

Für mich ist der Hunsrück eine Kindheitserinnerung. Und diese Erinnerungen begleiten einen ein Leben lang. Ich glaube, dass für jeden Künstler, egal auf welchem Gebiet er tätig ist, die frühen Prägungen der Kindheit sehr entscheidend sind.

 

Als Kind nimmt man das Erlebte viel intensiver war. Deswegen habe ich im Hunsrück immer wieder Filme gemacht, um somit auch meine Kindheitserinnerungen aufzuarbeiten.

 

Ich habe bei den Dreharbeiten Schuhsohlen mit Profil zu schätzen gelernt. Bei der Auswanderung sind wir als Komparsen eine leichte Anhöhe hoch gelaufen, was sich doch als äußerst schwierig mit den damals üblichen glatten Ledersohlen erwies. Sehen Sie eine heutige Errungenschaft nach dem Dreh auch mit anderen Augen?

 

Eine spezielle Erfindung ist mir nicht ins Auge gefallen, aber es ist mir ganz bewusst geworden, dass wir heutzutage, mit den Errungenschaften der Zivilisation, total verlernt haben zu überleben.

 

Was passiert in dem Moment, in dem die Routine der Zivilisation durchbrochen wird? Wenn man sich z.B. ein großes Erdbeben vorstellt. Es gibt keinen Strom mehr, sämtliche Transportwege sind abgeschnitten. Das ist für die heutige zivilisierte Menschheit ein Horrorszenario. Keiner von uns kann sich dann noch ernähren. Was würden wir in einem kalten Winter machen? Man könnte zwar die Möbel zersägen, aber womit sollte man sie verfeuern? Wer hat heutzutage noch einen Holzofen in der Wohnung? Wir sind überhaupt nicht mehr in der Lage zur überleben.

 

Aber die Menschen, die wir in unserem Film zeigen, konnten das. Mit Hilfe solch eines Filmes sollte man auch unsere Konsumwelt, in der wir leben, hinterfragen.

 

Beeindruckt war ich beim Dreh von dem Moment, an dem am Horizont der Sechsspänner bei der Auswanderungsszene auftauchte. Das war ein unbeschreibliches Gefühl: Ja, jetzt bin ich auf der Reise. Hinterm Horizont immer weiter…

 

Was war für Sie, Herr Reitz, ein außergewöhnlicher Moment? Was war für Sie ein ganz besondere Erlebnis beim Dreh?

 

Die Dinge die mich als alten Filmhasen bewegt haben oder die mir besonders wichtig sind, kann wahrscheinlich kaum ein Außenstehender nachempfinden. Für mich zeichnet sich ein Kunstwerk durch seine Form aus. Goethe hat einmal über die Kunst gesagt, dass die Fabel, damit ist die Handlung gemeint, am leichtesten verstanden wird. Was schon weniger Menschen verstehen ist die Idee und der Gedanke, der dahinter steckt. Die Allerwenigsten jedoch verstehen die Zuschauer die Form, die der Künstler für sein Werk gefunden hat. Die Form, also das ästhetische Gebilde ist jedoch die eigentliche künstlerische Leistung. Das gilt meines Erachtens für alle Künste, nicht nur für das Theater, auf das sich Goethe in diesem Zusammenhang bezog, sondern auch für den Film.

 

Im Hinblick darauf sind außergewöhnliche Momente für mich, wenn z.B. bestimmte, spezielle Kamerabewegungen in ihrer Schwierigkeit gelingen. Es gibt eine Einstellung als Jakob nach Hause läuft, da er erfahren hat, dass seine Mutter schwer erkrankt ist, in der uns dies meisterhaft gelungen ist. Er rennt über den Kirchvorplatz, läuft durch den schmalen Durchschlupf zwischen den Häusern in den Hof seines Elternhauses. All das wurde in einer einzigen Kameraeinstellung gedreht. Kaum einer von den Zuschauern wird erfassen, dass es in dieser langen Sequenz keine Schnitte gibt. Ein Profi aber geht in die Knie vor der Schönheit dieser Szene. Die Leistung des Kameramannes, der den Weg mit dem Schauspieler rennt, mit einer Präzession in der Schlusseinstellung landet und dann noch den Dialog ohne zu verwackeln aufnimmt, kann man nicht hoch genug einschätzen. Das ist eine der virtuosesten Szenen, die in dem Film vorkommen und sie wirkt so natürlich, dass wahrscheinlich nur wenige Zuschauer an dieser Stelle plötzlich „aha“ schreien. Aber da ist uns, meiner Meinung nach, etwas gelungen, was uns weltweit so bald keiner nachmacht. Und so etwas gehört zu den vielen formalen Lösungen, zu den Schönheiten des Films, die mich beim Drehen am stärksten bewegt haben.

 

Natürlich ist das sehr speziell und den meisten Zuschauern geht es in erster Linie um die „Story”, die erzählt wird. Wenn es aber Schönheit in der Kunst gibt, dann kommt sie aus dem Reichtum der Formen. Meisterschaft zeigt sich nicht in der Fabel, nicht in der „Aussage”, sondern in den formalen Lösungen: darum geht es mir beim Filmemachen.

 

Ich bedanke mich für das schöne Interview und bitte ihn noch um ein Autogramm. Dann ist es nach etwas mehr als 10 Minuten auch schon vorbei. Die Pressesprecherin ist überrascht wie schnell es ging. Ich hatte zu Beginn des Interviews eine Frage gestrichen, weil mir die nachfolgenden Fragen wichtiger waren und ich Herrn Reitz nicht unnötig strapazieren wollte. Der wirkt noch immer super frisch, obwohl es jetzt schon nach 21:00 Uhr ist und er ein wahnsinniges Tagespensum hinter sich gebracht hat. Mir war es aber wichtiger, dass ich mit Herrn Reitz nach einem entspannten Gespräch auseinander gehe. Ich hatte bzw. habe schließlich keinen blassen Schimmer, wie viel Zeit ein Herr Reitz für ein Interview einplant…

 

Später sehen wir uns nochmal vor der Hunsrückhalle. Er steht vor etwa 10 Menschen und erzählt noch einmal die Entstehung der Szene, in der Jakob nach Hause läuft. Ich freue mich, dass ich ihn an diesem Abend, mit meiner Frage nach seinem besonderen Moment bei den Dreharbeiten, offensichtlich berührt habe… (Petra Theisen Beisitzerin Kinder- und Jugendabteilung)

 

P.S.: Beinahe hätte ich es vergessen: Ja es stimmt natürlich, Edgar Reitz ist Ehrenmitglied im Landesverband Amateurtheater Rheinland-Pfalz!

 

Das Interview von Petra Theisen mit Edgar Reitz wurde in unserer Mitgliederzeitschrift Vorhang auf 4/2013 veröffentlicht.

 

Petra hat, wie dem Interview zu entnehmen ist, im Film „Die andere Heimat“ als Komparsin mitgewirkt. Ihren Blick auf die andere Heimat hat sie in einer Bilderreihe veröffentlicht.

 

Außer dem Interview findet sich im Vorhang auf 4/2013 auch eine Filmkritik.

 

Zum Leben und Werk von Edgar Reitz.